(Die Seite wurde neu angelegt: {{Menu secção 6}} {{Voltar}})
 
Zeile 3: Zeile 3:
  
  
{{Voltar}}
+
 
 +
'''Dein Fertig ist uns nie genug!'''
 +
 
 +
 
 +
Über [[Alvaro García de Zúñiga]]
 +
 
 +
<div class=justificado>
 +
 
 +
„Er sagt immer: Es ist gut, wenn ich nichts verstehe. Dann kann ich mir vorstellen, was ich will.“
 +
 
 +
„Das Wort finden, welches die Wirklichkeit bezeichnet, heißt auch, diese Wirklichkeit ein wenig dem Wort, das man verwendet, unterwerfen.“
 +
 
 +
„Man kann nur als Ausländer gut (be)schreiben.“
 +
 
 +
„In den dominierenden Sprachen ist das größte Risiko dem Prozess der sogenannten Alvarisierung geschuldet.“
 +
 
 +
„Manuel schickt sich an, gegen Wortmühlen zu kämpfen.“
 +
 
 +
 
 +
Diese Sätze fallen in einer 150minütigen akustischen Gebrauchsanweisung (Manuel I, II und III) in 10 verschiedenen Sprachen, die kürzlich von einem deutschsprachigen Radiosender wahrhaftig zu später Stunde ausgestrahlt wurde. Geschrieben hat sie ein Uruguayer, gebürtig aus Montevideo, den es über Argentinien und Chile nach Europa verschlug, erst Paris, dann Lissabon. Eingereist als Violonist neuer Musik, ergriff er die Gastsprache Französisch wie ein anarchisches Spielzeug.
 +
 
 +
 
 +
Álvaro García de Zúñiga ist ein Don Quichotte der Sprachen, auch jener des Films und des Theaters. Das erste Stück, das ich von ihm las, hieß Théâtre impossible. Es gab weder Figur, noch Handlung. Als ich mich über ein paar Französischfehler wunderte, kümmerte ihn das nicht nur nicht, bei jeder verlegenen Nachfrage meinerseits fügte er augenblicklich noch einen hinzu. „Wenn heute so viele Menschen auf der Welt Sprachen sprechen, die sie nicht beherrschen, dann gibt es keinen Grund, dass das nicht auch im Theater möglich sei.“ Die Alvarisierung nahm ihren Lauf. Auch seine beiden großen Vorbilder waren Imigranten, die das Französische ihrem Gestaltungswillen unterwarfen: Beckett ein Ire, Ghérasim Luca ein rumänischer Jude.
 +
 
 +
 
 +
Gleich Don Quichotte ist Zúñiga völlig furchtlos. Und das Wunder wird wahr: 1998 ist die Uraufführung von Théâtre impossible am ACARTE-Theater der Gulbenkian-Foundation Lissabon. Le Théâtre ne fait que du cinéma wird 1999 vom portugiesischen Nationaltheater uraufgeführt. Die deutsche Fassung des „unmöglichen Theaters“ wandert 2001/2002 preisgekrönt vom FFT Düsseldorf an die Berliner Sophiensaele und zum österreichischen Donaufestival. Sur Scène er Marne erregt  in Toulouse beim „Marathon des mots“ 2005 Aufsehen.
 +
Diese Exercices de Frustration sind insofern untypisch für Zúñigas Schaffen, als der Mittelteil explizit historische Erfahrung in Lateinamerika anspricht, dennoch weist die Aufführung für ihn charakteristische Motive und Verfahrensweisen auf: im ersten Teil das Verstummen der Handlung, hier vor dem Blick einer Überwachungskamera, deren seltsame Bilder von Kinderaugen gesehen werden, denen wiederum eine Mutter im Publikum … - und schon sind wir drin im poetischen Spiegelkabinett dieser Aufführung, in der das Theater sich ins Kino und zurück verwandelt, in dem Fiktion und Wirklichkeit sich verweben und Identitäten gleitend werden, um unvermittelt in einer Hommage an den großen Unbekannten Ghérasim Luca zu kulminieren. Dessen unmögliche Frage Wer bin ich? stellt nebenbei auch die Frage jedes Menschen, der sich auf eine Bühne wagt. Es sei angemerkt, dass dieser dritte Teil der Aufführung in aller Kürze auch eine Welturaufführung ist. Gérasim Lucas Mundtheater-Dramolette wurden in Frankreich nie gezeigt! Auch dafür brauchte es einen Furchtlosen (Wir weisen darauf hin, dass auch das Übersetzen des Luca-Dramoletts „Qui suis-je?“ durch Leopold von Verschuer von Furchtlosigkeit zeugt. – Anmerkung der Red.).
 +
 
 +
 
 +
Die letzten Sätze, die Manuel im Radio auf der Gebrauchsanweisung eines Krankenbettes stammelte, erklangen buchstäblich in Hieroglyphen:
 +
 
 +
 +
 
 +
Jüngst schrieb Zúñiga seinen ersten deutschen Satz: „Mein Genug ist fertig.“
 +
Dein Fertig ist uns nie genug!
 +
 
 +
 
 +
Leopold von Verschuer
 +
 
 +
 
 +
{{voltar}}

Version vom 15. April 2007, 15:31 Uhr



Dein Fertig ist uns nie genug!


Über Alvaro García de Zúñiga

„Er sagt immer: Es ist gut, wenn ich nichts verstehe. Dann kann ich mir vorstellen, was ich will.“

„Das Wort finden, welches die Wirklichkeit bezeichnet, heißt auch, diese Wirklichkeit ein wenig dem Wort, das man verwendet, unterwerfen.“

„Man kann nur als Ausländer gut (be)schreiben.“

„In den dominierenden Sprachen ist das größte Risiko dem Prozess der sogenannten Alvarisierung geschuldet.“

„Manuel schickt sich an, gegen Wortmühlen zu kämpfen.“


Diese Sätze fallen in einer 150minütigen akustischen Gebrauchsanweisung (Manuel I, II und III) in 10 verschiedenen Sprachen, die kürzlich von einem deutschsprachigen Radiosender wahrhaftig zu später Stunde ausgestrahlt wurde. Geschrieben hat sie ein Uruguayer, gebürtig aus Montevideo, den es über Argentinien und Chile nach Europa verschlug, erst Paris, dann Lissabon. Eingereist als Violonist neuer Musik, ergriff er die Gastsprache Französisch wie ein anarchisches Spielzeug.


Álvaro García de Zúñiga ist ein Don Quichotte der Sprachen, auch jener des Films und des Theaters. Das erste Stück, das ich von ihm las, hieß Théâtre impossible. Es gab weder Figur, noch Handlung. Als ich mich über ein paar Französischfehler wunderte, kümmerte ihn das nicht nur nicht, bei jeder verlegenen Nachfrage meinerseits fügte er augenblicklich noch einen hinzu. „Wenn heute so viele Menschen auf der Welt Sprachen sprechen, die sie nicht beherrschen, dann gibt es keinen Grund, dass das nicht auch im Theater möglich sei.“ Die Alvarisierung nahm ihren Lauf. Auch seine beiden großen Vorbilder waren Imigranten, die das Französische ihrem Gestaltungswillen unterwarfen: Beckett ein Ire, Ghérasim Luca ein rumänischer Jude.


Gleich Don Quichotte ist Zúñiga völlig furchtlos. Und das Wunder wird wahr: 1998 ist die Uraufführung von Théâtre impossible am ACARTE-Theater der Gulbenkian-Foundation Lissabon. Le Théâtre ne fait que du cinéma wird 1999 vom portugiesischen Nationaltheater uraufgeführt. Die deutsche Fassung des „unmöglichen Theaters“ wandert 2001/2002 preisgekrönt vom FFT Düsseldorf an die Berliner Sophiensaele und zum österreichischen Donaufestival. Sur Scène er Marne erregt in Toulouse beim „Marathon des mots“ 2005 Aufsehen. Diese Exercices de Frustration sind insofern untypisch für Zúñigas Schaffen, als der Mittelteil explizit historische Erfahrung in Lateinamerika anspricht, dennoch weist die Aufführung für ihn charakteristische Motive und Verfahrensweisen auf: im ersten Teil das Verstummen der Handlung, hier vor dem Blick einer Überwachungskamera, deren seltsame Bilder von Kinderaugen gesehen werden, denen wiederum eine Mutter im Publikum … - und schon sind wir drin im poetischen Spiegelkabinett dieser Aufführung, in der das Theater sich ins Kino und zurück verwandelt, in dem Fiktion und Wirklichkeit sich verweben und Identitäten gleitend werden, um unvermittelt in einer Hommage an den großen Unbekannten Ghérasim Luca zu kulminieren. Dessen unmögliche Frage Wer bin ich? stellt nebenbei auch die Frage jedes Menschen, der sich auf eine Bühne wagt. Es sei angemerkt, dass dieser dritte Teil der Aufführung in aller Kürze auch eine Welturaufführung ist. Gérasim Lucas Mundtheater-Dramolette wurden in Frankreich nie gezeigt! Auch dafür brauchte es einen Furchtlosen (Wir weisen darauf hin, dass auch das Übersetzen des Luca-Dramoletts „Qui suis-je?“ durch Leopold von Verschuer von Furchtlosigkeit zeugt. – Anmerkung der Red.).


Die letzten Sätze, die Manuel im Radio auf der Gebrauchsanweisung eines Krankenbettes stammelte, erklangen buchstäblich in Hieroglyphen:


Jüngst schrieb Zúñiga seinen ersten deutschen Satz: „Mein Genug ist fertig.“ Dein Fertig ist uns nie genug!


Leopold von Verschuer


blablalab