Theater & co. im Ruhrgebiet - Ausgabe 39
Mülheim an der Ruhr, 25.01.2002, 02:35, von Stefan Schroer
"Wenn ich eine Frage stelle, wo stelle ich sie hin?"
Forum Freies Theater, Düsseldorf:
Theatre impossible: "OmU"
Es ist ja immer wieder komisch, ins Theater zu gehen. Oder in die U-Bahn, in die Uni, zu Aldi, zur Arbeit, in die Kneipe, ins Bordell, auf den Strich, joggen, in den Krieg, aus dem Bett. Nur daß man aus dem Bett nicht geht, sondern aufsteht, steigt oder fällt und in den Krieg zieht oder lieber noch gezogen wird. Und daß man alles andere als ins Theater zu gehen, außer mancher vielleicht auf den Strich, für ganz normal, unfraglich hält. Daß Computerbüroexistenzen genauso absurd sind wie Theatergucken sei hier mal nicht behauptet. Wegen des Theaters nicht, zunächst einmal.
Denn es gibt ja nichts Unvernünftigeres, als sich in einen dunklen Raum zu setzen, von hier auf einen hellen zu starren und dort etwas zu sehen, was es gar nicht gibt, was so nicht stimmt, was nicht wirklich so ist. Märchenstunde mit Onkel Schauspieler. Der König hat eine Krone auf dem Kopf und ist ein alter Mann. Wenn man das noch sähe. Das Kind setzt sich eine Krone auf und sagt: Der König bin ich. Gibt’s auch kaum. Was es gibt und man sieht ist "König".
Und man sieht Fluchten, Flüchtlinge, raus aus dem Dilemma und rein in die nur akzidentiell andere Arbeit als andere und die Produktion von etwas der primären Bedürfnisbefriedigung auf dem satten und trockenen Fuß Folgendem. So erscheint die Ressourcenverschwendung als fragliche. Und dabei ist das Theater, das unvernünftige, das Loch im Kreislauf der stets sich selbst und seine Bedingungen reproduzierenden Ökonomie.
Es gibt die Unterhaltung und die Überhaltung, die Selbsterhaltung und die Schräghaltung ("ich sags jetzt mal kursiv", sagt Leopold von Verschuer und lehnt sich mit der Schulter an die 1/2 Meter entfernte Portalwand). Und die Einstellung und die Dreihundertachtstellung, die Habachtstellung und die Verstellung. Das Einrücken, das Entrücken, das Graderücken, das Verrücken, das Bedrücken, das Unterdrücken. Die Enthauptung und die Behauptung.
Es ist schon komisch im Theater oder sinnlos oder verschwenderisch. Oder und. Wir können jetzt wählen: sinnlos verschwenderisch und komisch, sinnlos und komisch verschwenderisch, komisch sinnlos und verschwenderisch, verschwenderisch komisch und sinnlos; sinnlos komisch, komisch verschwenderisch, verschwenderisch sinnlos; nur komisch, nur verschwenderisch, sinnlos; mäßig komisch, ökonomisch.
So wie Leopold von Verschuer uns seine Sprache. Unsere Sprache, die uns verschlingt und forttreibt statt wir sie ausspucken und uns ausdrücken in ihr, wenn wir nicht höllisch aufpassen. Und unsere Kühlschränke und andere Dinge und Gepränge. Ein Clown, der auf nichts ausrutscht als einem stimmhaften Konsonanten zuviel oder zuwenig im Wort, das aber dauernd. Verhöhnt dafür von der Computerschrift über ihm, bis die Ausnahme Regel wird und der Computer menschelt und stirbt. Und der Mensch, der "sprechende Bühnenarbeiter", wie er sich nennt oder das Programmheft ihn? Setzt sich zusammen aus all den gefundenen und den verlorenen Vokalen und Vokabeln und Sätzen.
Wenn Leopold von Verschuer die Bühne zum ersten Mal berührt, zieht er ein Bein hinterher. Oder stellt es vor sich hin. Markiert seinen Ort. Dann macht er eine Lampe an, halb kaputt: Arbeitslicht. Dann stellt er Fragen, eine, zwei, drei, vier, fünf, und es gibt noch immer eine mehr, die sich ergibt aus der zuvor.
Und auch was er davor und danach - wenn er die Fragereihe, die es allein nicht täte, abgebrochen hat, indem er nach der Antwort fragt und die Fragen gegen die Antworten richtet - spricht, auch berichtet, uns erzählt von seiner Geburt und seinem Leben und seinem Tod, sind Fragen. "Da Antworten nicht in Frage kamen, waren einzig die Fragen die wahre Frage der Fragen, das war die Frage. Blieb das Problem, wo sie zu stellen waren. Und wie zu tragen." Sind Fraglichkeiten, nirgends endgültig hingestellte, immer neu überfallende und reißen auch den Erzähler/Frager immer wieder mit sich fort, der letzten Silbe hinterher wie dem ausgestreckten Bein oder dem Rätsel nach.
Wer dieser Mensch ist, möchte man als Zuschauer oft genauso gerne wissen wie er wohl selbst. Und dann vergißt man vielleicht diese Frage über den Fragen, die sich auf dem Weg stellen und denen Leopold von Verschuer nachgeht, nachforscht. Vergißt sie vielleicht auch, weil ihre Spur verwischt wird von der sprachlichen Virtuosität des Schauspielers und der Präzision seiner ungewöhnlichen, seiner, im Theater mit seinen Schau-Spielern, oft auch ungewohnt gewöhnlichen Körpersprache. Das Drama dieses "sprechenden Bühnenarbeiters", das des Schauspielers findet nicht noch woanders statt als in diesen Sprachen, und die sind sein Resultat, das Drama hat längst stattgefunden.
Es zu evozieren und als solches zu erleben bleibt die Aufgabe des Zuschauers, zu der der Schauspieler Verschuer ihn auffordert und ihm alle Möglichkeiten gibt, weil er auf die anderen, die verstellenden, die darstellenden, die zur Schau stellenden und damit verbergenden, verzichtet. Leopold von Verschuer (Theater der Zeit 4/2000): "Was bleibt: Den Schmerzensschrei des Prinzen von Homburg zu spielen wie den Flug einer Fliege, als Evidenz, nicht als Drama ‚von da nach da‘. Das Werkzeug nicht verstecken, den Schweiß nicht ignorieren, sondern ihn abtrocknen. Wenn das Werkzeug sichtbar ist, bleibt auch der sichtbar, der es führt. Die Person, die der Schauspieler ist, ist da. Vielleicht gibt es ja doch nichts schöneres, als einen Menschen zu erkennen. Also: erkennbar sein - denn darzustellen gibt es da nichts. Eher schon dazustehen. Lange habe ich keinen Schauspieler mehr dastehen sehen, einfach nur dastehen, mit hängenden Armen, wie es der Schwerkraft entsprechend am leichtesten ist. Wo sonst als auf der Bühne."
Noch am 25., 26. und 27.1. im Forum Freies Theater, Jahnstr. 3, Düsseldorf.
Fazit folgt weiterhin.
Das Zitat in der Überschrift stammt aus Álvaro Garcia de Zuniga: OmU (aus dem Französischen von Leopold von Verschuer), die unausgewiesenen Zitate im Text aus den (bzw. (1. Zitat "Narrenturm") der Ankündigung der) besprochenen Inszenierungen:
Theatre impossible: OmU. Ein Stück für 10 Kühlschränke, 250 kg Eiswürfel, eine sprechende Mülltonne, 2 Untertitelmaschinen und mich, von Alvaro García de Zúniga. Weitere Aufführungen: 25., 26. und 27. Januar, FFT Kammerspiele, Jahnstr. 3, Düsseldorf
Info und Karten Forum Freies Theater: 0211 / 87 67 87 0; http://www.forum-freies-theater.de